roboterDer Brief

von Margarete Schebesch

 

Sehr geehrte Frau Doktor, es ist einige Zeit vergangen seit jenem Morgen im Juni, an dem Sie mit geschickten Händen meinen verstauchten Fuß eingipsten.

So begann der Schlingel seinen Brief. Ein Dreikäsehoch war er gewesen, frech und aufmüpfig -- ein Tunichtgut, wie er im Buche steht. Ich konnte mich genau an seine verheulten Augen und die Sommersprossen erinnern, an das Lächeln, als alles vorbei war. Neugierig las ich weiter.

Einiges ist seither passiert, aber heute benötige ich wieder Ihre Hilfe. Ich weiß, dass Sie inzwischen in diesem Krankenhaus für außerirdische Krankheiten arbeiten und viel über dieses Thema wissen. Ich habe einen Freund, der an einer unbekannten Krankheit leidet. Er hat sie von einem Ausflug auf die Venus mitgebracht und konnte bisher nicht geheilt werden. Wir würden ihn natürlich zum Arzt bringen, aber die Sache hat einen Haken. Die Polizei ist hinter ihm her, weil er jemandem bei der Flucht auf die Venus geholfen hat, den die Regierung gerne zurück haben möchte.

Ich erinnerte mich an kürzliche Berichte auf allen Nachrichtenkanälen, wo über das Verschwinden eines Aufrührers gesprochen wurde, und alle spekulierten, wohin er wohl geflohen sein mochte. Die Venus, dieser Tummelplatz des Abschaums sämtlicher Rassen der Galaxis, war natürlich niemandem eingefallen. Es gab keine Regierung, keine Ärzte und keine hygienischen Einrichtungen. Es gab aber sehr viele Krankheiten irdischen und außerirdischen Ursprungs, und sogar Kombinationen daraus wie die Venusgrippe, die von quantanischen Wurmechsen übertragen wurde und jeden Menschen zum Krüppel machen konnte, wenn er nicht behandelt wurde.

Was wollte David von mir? Hatte sein Freund sich etwa solch eine Krankheit eingefangen?

Die Krankheit ist nicht ansteckend und wird durch Gedanken übertragen, las ich weiter. Mein Freund wird daran sterben, wenn er nicht bald Hilfe bekommt. Ich würde ihn gerne zu Ihnen bringen, vielleicht können Sie ihm helfen. Wir kommen heute Abend in Ihr Büro. Bitte stellen Sie sicher, dass Sie allein sind.

Natürlich war ich neugierig.
Vor den Gedanken fürchtete ich mich nicht. Wir würden dem Kranken einfach einen Gedankenhelm aufsetzen und uns davor schützen. Am Abend wartete ich also auf David und seinen Freund.

Als er hereinkam, sah ich den kleinen Jungen von damals in seinem Gesicht. Obwohl auch er älter geworden war, blitzten seine Augen immer noch vor Neugier. Es lag jedoch auch Angst darin, und als ich seinen Freund sah, verstand ich.

Der Mann hieß Paul und war ein Marsmensch -- ein Mensch, der auf dem Mars geboren worden war. Sein Körper war dünn und hatte fast weiße Haut. Unter der Haut bewegte es sich unaufhörlich, als ob Käfer durch seinen Körper krabbelten.

Ich ahnte schon, was es war. Machinenkrebs nannten wir die Krankheit im Krankenhaus. Sie wurde nicht durch Gedanken übertragen, sondern durch Blut. Oder durch Getränke, welche die Keime enthielten. Die Keime wurden nur durch Gedanken aktiviert, und zwar durch die Gedanken des Wesens, das die Keime verbreitete. Die Keime bestanden aus winzigen Maschinenteilen, die im Körper dieses Wesens wucherten und für ihn arbeiteten wie die Bakterien der Darmflora für den Menschen. Aber im Körper eines Menschen, ganz egal, ob von der Erde oder vom Mars, waren die Maschinen tödlich. Zumindest, wenn man sie nicht aus dem Körper entfernte.

Es gab nur eine einzige Möglichkeit, die Maschinen loszuwerden. Man musste das Blut des Menschen austauschen. Eine Art Dialyse durchführen, bei der die Maschinen herausgefiltert wurden. Wir hatten ein Gerät da, aber es war nie für solche Dinge benutzt worden. Doch wir mussten es probieren, denn die Maschinen in Pauls Körper wuchsen immer weiter, rotteten sich zusammen und bildeten Geschwüre, die ihn langsam in eine Maschine verwandelten. Wir verbanden ihn also mit dem Gerät und versuchten unser Glück. Es funktionierte ausgezeichnet. Die kleinen Maschinen wurden aus dem Blut herausgefiltert und verblieben im Gerät.

Paul ging es besser. Wir glaubten schon, es sei alles überstanden, als das Dialysegerät plötzlich mit großem Getöse anfing, sich selbst umzubauen. In Windeseile wuchsen daraus Arme und Beine sowie ein großer Kopf, dessen Gesicht Pauls Züge nachahmte. David fing an zu lachen, und das Maschinenwesen betrachtete verwundert seinen neuen Körper. Es hatte sich seinen eigenen Wirt gebaut!

Wir überlegten, was wir mit dem Wesen anfangen sollten. David wollte es mitnehmen und verkaufen. Es folgte aber nur dem Marsmenschen Paul und tat alles, was dieser ihm sagte. Schließlich gingen sie beide und nahmen das Wesen mit.

Nach einigen Tagen kam ein neuer Brief von David. Er war mit seinem Freund zur Venus geflogen und hatte das Maschinenwesen mitgenommen. Dort hatte eines der ursprünglichen Maschinenwesen sich verliebt und ihnen das Ding abgekauft.

Der Marsmensch war seit der Dialyse immun gegen die Maschinenkeime. Wir hatten also eine Heilmethode gefunden, welche auch die Maschinenwesen glücklich machte. David wollte die Methode auf der Venus vermarkten und mein Einverständnis haben.

Ich schickte ihm meine Antwort umgehend. Sollte er machen, was er wollte. Bloß nicht meinen Namen erwähnen! Wenn der Direktor das erfuhr! Er sollte so tun, als ob alles auf seinem Mist gewachsen sei. Und natürlich konnte ich es mir nicht verkneifen, den Antwortbrief mit dem Satz Leb wohl, mein Lieber, und lass dich nicht erwischen! zu beenden.

 

Anmerkung: Diese Geschichte entstand in einer Schreibwerkstatt als Text zu den Anfangs- und Endsätzen einer anderen Geschichte.