blaue blumeWinterblume

von Margarete Schebesch

 

Das blaue Licht erlosch langsam in dem kleinen Raum, und grüne Worte erglühten auf dem Bildschirm neben der Tür:

ZIEL ERREICHT.

Der alte Mann atmete auf und drückte auf den Schalter, der die Luke öffnete. Als er aus dem Transporter stieg, sah er im schwachen Licht der Fluchtwegleuchte vor der Tür zum Ladenraum einen Stuhl. Das war gut, denn es war der Stuhl, den er selbst beim letzten Besuch dorthin gestellt hatte, um sicher zu sein, dass er zum richtigen Zeitpunkt angekommen war.

Er stellte den Stuhl beiseite, trat in den Ladenraum und schaute sich um. Es war noch dunkel, und nur das Licht der Straßenlaterne schien durch das Schaufenster und die Scheiben der Eingangstür herein. Es beleuchtete viele Regale an den Wänden, die mit Töpfen, Schüsseln, Werkzeugen und ähnlichen Gegenständen gefüllt waren. Nur das Regal gleich neben der Tür war noch leer.

Der alte Mann ging und schaute durch das Fenster hinaus auf die Straße, aber dort war alles ruhig. Die Laterne war intakt, und der Parkplatz vor dem Laden war leer. Der Mann nickte leise, denn auch das bewies, dass seine Berechnungen stimmten.

Er ging zurück, holte nacheinander die Blumentöpfe aus der Kabine und stellte sie im Ladenraum auf den Kassentisch. Dann schloss er die Tür zu dem geheimen Zimmer, rückte das leere Regal davor und räumte die Töpfe in die Fächer.

Als er fertig war, dämmerte der Morgen, und er trat hinaus vor die Ladentür, um die Zeitung zu holen. An den Schlagzeilen erkannte er, dass die Katastrophe bereits begonnen hatte. Er blätterte zu den Kleinanzeigen und suchte nach dem Inserat, das er bei seinem ersten Besuch geschaltet hatte. Es war erschienen und sah genau so aus, wie er es bestellt hatte: nicht zu auffällig, aber doch so groß, dass es nicht übersehen wurde.

Wieder nickte er, dann ging er hinein, holte er unter dem Ladentisch die gefüllte Gießkanne hervor und gab den Pflanzen Wasser. Mit den sauberen Lappen, die er bereitgelegt hatte, begann er, die Blätter zu reinigen.

Die Pflanzen waren alle im gleichen Stadium, voll entwickelt und bereit zu blühen. Noch vier Tage, dann war es so weit. Jetzt musste er nur noch die Pfleger finden.

 

***

Frederic saß mit Amy am Frühstückstisch, hielt die Zeitung in den Händen und hörte mit bangem Herzen dem Nachrichtensprecher im Radio zu. Dieser bestätigte mit ruhiger Stimme die Meldungen, die Frederic bereits in der Zeitung gelesen hatte.

Der Feind wollte offenbar nicht einlenken und legte es auf eine kriegerische Auseinandersetzung an. Schon am Abend zuvor hatte der Präsident die Bevölkerung in einer Fernsehansprache aufgefordert, Ruhe zu bewahren und sich auf einen möglichen Krieg einzurichten.

Als Frederic nach dem Frühstück seinen Mantel anzog und seine Tasche nahm, folgte ihm Amy im Morgenmantel in den Windfang, küsste ihn und schaute mit sorgenvollem Blick in seine Augen.

»Es wird alles gut«, sagte Frederic und umarmte sie. »Ich lasse nicht zu, dass euch etwas zustößt.«

Er selbst hatte keine Angst, denn er fürchtete nichts, was sie ihm in diesem Krieg antun könnten. Er fürchtete nur, was sie Amy und den Kindern antun würden, wenn sie kämen.

In der Straßenbahn saßen die Menschen bedrückt und still, und die Zeitungen in ihren Händen wiederholten mit großen Buchstaben die düsteren Nachrichten. Frederic schaute einer Frau, die auf dem Sitz vor ihm saß, über die Schulter und las einige Anzeigen in ihrer Zeitung mit. Als die Frau die Zeitung zusammenfaltete, um an den unteren Teil zu kommen, fiel ihm eine kleine Anzeige auf, die einen Rahmen trug. Der Text lautete:

Möchten Sie Ihre Lieben vor den Schrecken des Krieges beschützen?
Dann kommen Sie zu uns.
Wir haben schon vielen Familien geholfen, ein neues Leben anzufangen.

Frederic merkte auf, denn die Anzeige schien genau auf Familienväter wie ihn ausgerichtet zu sein. Er suchte nach einem Firmennamen, aber es gab nur eine Adresse. Schnell prägte er sie sich ein und beschloss, nach der Arbeit hinzufahren.

In der Mittagspause erkundigte er sich nach der Adresse, aber es gab keine Straßenbahn, die dorthin fuhr. Wenn es eine Firma oder ein Laden war, würde er wahrscheinlich schon geschlossen sein, bis Frederic zu Hause war und mit seinem eigenen Wagen hinfahren konnte. Deshalb würde er ein Taxi nehmen müssen.

Am Abend fuhr das Taxi hinaus in eine Vorstadtsiedlung und hielt vor einem alten, heruntergekommenen Haus mit einem Laden. Über dem Eingang beleuchtete ein schwacher Scheinwerfer ein Schild mit einem verblassten Schriftzug:

HAUSHALTSWAREN ALLER ART

Frederic schaute stirnrunzelnd zu den Häusern in der Nachbarschaft, aber auch deren Fassaden schienen lange nicht mehr getüncht worden zu sein. Von den Mauern blätterte die Farbe ab, und die Fenster waren vergittert. Aber in dem Laden war noch Licht, deshalb bat Frederic den Taxifahrer zu warten und ging hinein.

Die Regale im Verkaufsraum waren, wie das Schild draußen angekündigt hatte, mit allerlei Haushaltsgegenständen vollgestopft. Doch zwischen Töpfen und Pfannen, Besen und Putzlappen bemerkte Frederic auch ein Regal mit Topfpflanzen. Die Pflanzen waren nicht besonders schön, aber Frederic konnte sie keiner Art zuordnen, die er kannte.

Ein kleiner, alter Mann kam auf ihn zu und fragte ihn mit freundlicher Stimme nach seinen Wünschen.

»Ich habe Ihre Anzeige gelesen«, sagte Frederic. »Können Sie mir mehr darüber erzählen?«

»Ah, Sie haben also Kinder?«, fragte der alte Mann und lächelte.

»Ich habe zwei«, nickte Frederic verlegen. »Sie sind noch klein …«

»Ich verstehe«, sagte der Mann. »Dann kommen Sie. Ich habe hier genau das Richtige für Sie!«

Er ging zu dem Regal mit den Topfpflanzen, holte eine hervor und drückte sie Frederic in die Hand.

»Dies ist eine Winterblume«, erklärte er. »Obwohl sie mehrere Knospen bildet, wird nur eine davon blühen. Aber sie hat eine besondere Fähigkeit: Sie kann Gefahr spüren. Und wenn die Gefahr am größten ist, dann blüht sie.«

»In der Anzeige stand, Sie könnten mir helfen, meine Familie zu beschützen«, sagte Frederic. »Was soll ich mit der Pflanze?«

»Oh, sie wird Ihnen helfen«, versicherte ihm der alte Mann. »Sie werden die Gefahr erkennen, wenn die Pflanze blüht. Kommen Sie dann mit der Pflanze und Ihrer Familie wieder zu mir. Es wird Ihnen nichts geschehen.«

»Was passiert dann mit uns?«, fragte Frederic argwöhnisch. Er konnte dem Vorschlag des alten Mannes nicht sehr viel abgewinnen.

»Aber bis dahin müssen Sie die Pflanze pflegen«, fuhr der Mann fort, ohne auf Frederics Frage zu antworten. »Sie benötigt viel Wasser. Außerdem müssen Sie ihre Blätter reinigen, sonst funktioniert ihre Empfindung nicht richtig. Sie wird Ihrer Familie helfen.«

Mehr war nicht aus ihm herauszuholen.

Frederic bezahlte die Pflanze, stieg wieder in sein Taxi und ließ sich nach Hause fahren. Dort stellte er den Blumentopf vor das Küchenfenster und erzählte Amy, es sei eine Pflanze aus dem Büro, die er eine Zeit lang pflegen wolle.

Die Pflanze hatte tatsächlich einige Knospen, aber alle waren noch fest geschlossen. Frederic goss ein wenig Wasser in den Topf und nahm sich vor, die Blätter zu säubern, auch wenn er noch nicht verstand, wozu das gut sein sollte.

Am nächsten Morgen stand er früher auf als sonst und schaute nach der Pflanze. Ein feiner Staub hatte sich auf die Blätter gelegt, und die Erde war trocken. Frederic säuberte die Blätter mit einem Tuch und goss wieder etwas Wasser dazu.

Der Sprecher im Radio sagte, bis zum Ausbruch des Krieges könne es sich nur noch um wenige Tage handeln. Die Zeitung brachte die gleichen Meldungen. Frederic schaute ab und zu von seinem Frühstück zu der Pflanze hinüber und schüttelte enttäuscht den Kopf. Er hatte sich mehr von der Anzeige versprochen.

Auf dem Weg zur Straßenbahn bemerkte er die ersten Vorbereitungen für den Krieg. Die Nachbarn schütteten ihre Kellerfenster zu und legten Vorräte an. Frederic beschloss, am Nachmittag ebenfalls damit zu beginnen. Er würde im Keller einen sicheren Unterschlupf bauen, dann würden Amy und die Kinder nichts zu befürchten haben.

Als er am Abend nach Hause kam, reinigte er die Blätter der Pflanze und gab ihr Wasser. Amy schaute kopfschüttelnd zu und machte ihm sein Abendessen. Sie hatte die Kinder schon zu ihrer Mutter gebracht, damit sie sich nicht ängstigten, wenn sie mit Frederic gleich den Keller befestigte und Kleidung und Vorräte bereitlegte.

In den nächsten beiden Tagen gingen die Vorbereitungen in der Stadt weiter. Die Menschen machten Hamsterkäufe und hatten Angst. Die Schulen wurden geschlossen, und der Chef sagte Frederic, er solle am nächsten Morgen nicht mehr kommen, weil der erste Angriff bevorstehe. Er solle zu Hause bleiben und seine Familie beschützen.

Frederic fuhr nach Hause und brachte mit Amy die letzten Lebensmittel in den Keller. Er wischte den Staub von den Blättern der Pflanze, gab ihr Wasser und brachte sie ebenfalls in den Keller. Zusammen mit Amy holte er die Schwiegermutter und die Kinder und führte sie in den Keller. Auch das Radio und einen Vorrat Batterien stellte er bereit.

In dieser Nacht schliefen sie im Keller. Es war still dort unten, und Frederic vermisste die üblichen nächtlichen Geräusche, die er kannte. Er konnte nicht einschlafen, deshalb stand er auf und pflegte die Pflanze. Die Erde war wieder trocken, und Frederic gab noch etwas Wasser darauf.

Als er sich gerade wieder hinlegen wollte, bemerkte er, dass eine Knospe der Pflanze sich vergrößert hatte. Durch einen winzigen Spalt zwischen den geschlossenen Blättern konnte er ein dunkelblaues Blütenblatt mit einem feinen gelben Querstreifen erkennen.

Erschrocken holte er das Radio, stieg wieder ins Bett und setzte die Kopfhörer auf. Der Reporter war irgendwo draußen an der Front, wie er sagte. Er schilderte, wie die feindlichen Soldaten einmarschierten, um den Konflikt mit Waffengewalt zu lösen. Dem Bericht folgte eine Aufzeichnung der Ansprache des Präsidenten von vor einigen Tagen, in dem er die Bevölkerung aufgefordert hatte, Ruhe zu bewahren.

Der Reporter berichtete weiter, wie die Soldaten einrückten, aber auf verlassene Städte trafen. Sie zerstörten alle wichtigen Gebäude und drangen in Richtung der Hauptstadt vor. Die Verteidigungstruppen waren weiter im Landesinneren aufgestellt, um sie zu empfangen.

Frederic dachte darüber nach und fragte sich, wieso die Verteidigungstruppen nicht verhinderten, dass der Feind überhaupt einrückte. War das die neue, moderne Art, Krieg zu führen? Und warum war die Stadt noch nicht evakuiert worden? Die Grenzen waren zwar weit entfernt, aber andere Städte waren offenbar schon verlassen worden.

Jetzt konnte Frederic erst recht nicht mehr schlafen und stand wieder auf, um nach der Pflanze zu sehen. Die Knospe hatte sich noch weiter geöffnet. Deutlich waren jetzt dunkelblaue Blütenblätter mit dünnen gelben Streifen zu erkennen, die dabei waren, sich langsam zu entfalten.

Frederic weckte Amy, zeigte ihr die Pflanze und erzählte ihr von dem Radiobericht und dem alten Mann in dem Laden. Mit der Pflanze konnte Amy nichts anfangen und glaubte nicht, dass die Gefahr einen Einfluss auf die Blüte habe. Dem Reporter im Radio glaubte sie aber.

»Wir werden zu dem Laden fahren«, beschloss Frederic. »Dort werden wir sehen, was uns erwartet. Wenn der alte Mann mir ein Märchen erzählt hat, fahren wir weiter, hinauf in die Berge. Die Verteidigungstruppen werden den Feind aufhalten, er wird nicht bis dorthin vordringen.«

Amy weckte ihre Mutter und die Kinder, und Frederic ging hinaus, um den Wagen vorzubereiten. Er trug die bereits gepackten Koffer hinaus, nahm die Kisten mit den Vorräten und verstaute alles im Gepäckraum. Dann holte er die Pflanze, deren Blüte nun geöffnet war, obwohl die Blütenblätter noch etwas zerknittert aussahen. Er klemmte den Topf zwischen die Lebensmittel, damit er nicht umkippen konnte, reinigte eilig die Blätter und goss noch etwas Wasser nach.

Er ging zurück in den Keller und trieb Amy und die Kinder an, sich zu beeilen. Seine Schwiegermutter war schon angezogen und half Amy mit den Kindern. Sie war ruhig und zeigte keine Angst. Aber sie tat Frederic leid, denn sie hatte dies alles schon einmal durchgestanden. Er hätte es ihr gerne erspart.

Als alle eingestiegen waren, stellte Frederic die Adresse ein, dann fuhren sie alle zu dem Haushaltswarenladen. Es war vier Uhr morgens, und der Laden war das einzige beleuchtete Haus in der Straße. Viele Wagen standen davor, kreuz und quer abgestellt, aber niemand war zu sehen.

Sie stiegen aus, holten das Gepäck und gingen zum Eingang. Der alte Mann kam ihnen entgegen und rief erleichtert: »Endlich sind Sie da! Wieso haben Sie so lange gebraucht?«

Er nahm die Kinder an den Händen und führte sie hinein. Amy und ihre Mutter folgten ihm mit den Koffern, und Frederic trug die Kisten mit den Vorräten.

Als er damit in den Laden trat, merkte er sofort, dass etwas sich verändert hatte: Das Regal, wo vorher die Blumentöpfe gestanden hatten, war nun leer. Nur auf dem Ladentisch stand noch eine einzelne Pflanze.

»Haben Sie die Pflanze mitgebracht?«, fragte der alte Mann mit besorgter Stimme.

Frederic zeigte ihm den gesicherten Topf in der Kiste. Die Blüte war vollständig entfaltet, und die Blütenblätter waren glatt und fest: dunkelblau mit zwei klaren, dünnen, gelben Querstreifen.

»Sehr gut«, nickte der alte Mann und begann, das leere Regal zur Seite zu schieben. »Dann wird es funktionieren. Sie müssen sofort gehen.«

Hinter dem Regal verbarg sich eine Tür, die er öffnete. Als er das Licht in dem Raum dahinter einschaltete, sah Frederic ein großes, zylinderförmiges, metallisches Gebilde. Es hatte eine gerundete Luke mit einer Tür und erinnerte ihn an eine der alten Telefonzellen, die schon vor vielen Jahren verschwunden waren.

»Ich verstehe nicht«, runzelte er die Stirn. »Was ist das für ein Ding?«

»Es wird Sie retten«, sagte der alte Mann. »Sie und Ihre Familie. Schauen Sie her, die Blume ist vollständig erblüht. Jetzt ist ihre Kraft am größten. Sie müssen gehen, bevor es zu spät ist!«

»Wo sind denn die anderen Pflanzen?«, fragte Frederic und wies zu dem leeren Regal.

»Sie sind alle schon abgereist«, antwortete der Mann und nahm einen Koffer, um ihn in den Metallzylinder zu tragen. »Väter wie Sie wurden ausgewählt, die ihre Familie beschützen wollen. Obwohl es ihnen seltsam erschien, pflegten sie die Pflanzen, bis sie blühten. Auf diese Weise konnten die Pflanzen ihre Fähigkeit entfalten, ihnen bei der Reise zu helfen.«

»Was ist das für eine Reise?«, bohrte Frederic weiter. »Wir gehen nirgendwohin, bevor sie mir nicht erklären, was es mit dieser … Maschine auf sich hat!«

Der alte Mann seufzte tief, dann hielt er inne, stellte den Koffer wieder ab und gab Frederic seine Antwort.

»Dieser Krieg wird der letzte auf der Erde sein«, sagte er. »Die Verteidigungstruppen werden versagen, und der Krieg wird sich ausbreiten und die Erde unbewohnbar machen. Die Menschheit hat nur dann eine Chance, wenn Sie und Ihre Familie die Erde zusammen mit den anderen Familien wieder besiedeln.«

»Aber wie sollen wir das tun?«, fragte Frederic. Langsam schlich sich ein ungeheuerlicher Gedanke in sein Bewusstsein.

»Die Pflanze ist eine Zeitmaschine«, antwortete der alte Mann. »In den letzten Tagen hat sie so viel Energie gespeichert, dass Sie damit in dieser Kabine durch die Zeit reisen können. Sie müssen nur weit genug in die Zukunft reisen – in eine Zeit, in der die Erde sich erholt hat. Aber Sie müssen gehen, solange die Pflanze blüht. Wenn sie verwelkt, entlädt sie sich, und Ihre Chance ist vorbei. Sie benötigen die Energie, um zu reisen!«

Frederic starrte den Mann mit weiten Augen an.

»Wer sind Sie?«, fragte er.

»Einige Menschen überlebten«, sagte der alte Mann. »Aber sie wurden krank und konnten sich nur schwer fortpflanzen. Sie forschten nach einer Möglichkeit, sich vor der Strahlung zu schützen, und fanden diese Pflanzen, die der atomare Winter hervorgebracht hatte. Wir nennen sie Winterblumen. Sie wachsen zu jeder Jahreszeit, sind frost- und hitzefest und benutzen die radioaktive Strahlung als Energiequelle.«

Frederic schaute erschrocken zu der Pflanze in der Kiste, die er immer noch hielt. Hatte er die ganze Zeit eine radioaktive Pflanze im Haus gehabt?

»Die Menschen veränderten durch Zucht die Eigenschaften der Pflanzen, sodass sie auch andere Nahrungsquellen nutzen konnten«, fügte der alte Mann hinzu, als ob er Frederic beruhigen wollte. »Nun können sie auch Wasser, Wärme oder Licht aufnehmen, aber nur, wenn ihre Blätter immer sauber sind.«

Frederic wusste nicht, ob so etwas überhaupt möglich war, aber die Not machte bekanntlich erfinderisch. Wer konnte wissen, auf welche aberwitzigen Ideen die Menschen kamen, wenn sie den Untergang ihrer Art vor Augen hatten?

»Wenn die Pflanze selbst die Zeitmaschine ist, was ist dann das?«, fragte er und wies mit dem Kopf zu der metallischen Kabine.

»Es ist eine Art Steuereinheit«, antwortete der alte Mann. »Im Prinzip kann man auch ohne sie reisen, aber dann weiß man nicht, wo und wann man wieder in die Zeit eintritt. Es dauerte mehrere Jahrhunderte, bis die Menschen dieses Gerät entwickelten, und ihre Zahl sank mit jeder Generation. Ich bin einer der Letzten. Wir haben Stützpunkte in Städten auf der ganzen Welt, wo wir Familien zur Flucht verhelfen. Und nun müssen Sie gehen. Nehmen Sie die Pflanze und ihr Gepäck und steigen Sie in die Kabine. Sie müssen sich alle zusammen hineindrängen. Die Reise dauert nur einige Augenblicke, aber sie wird Ihre Familie in die Zukunft bringen, wo Sie alle vor dem Krieg sicher sind.«

Frederic nickte, dann ging er und stellte die Kisten mit den Vorräten in den Zylinder. Er winkte Amy und ihrer Mutter und half ihnen mit den anderen Koffern, dann nahm er die Kinder an die Hand und brachte sie ebenfalls hinein.

»Die Energie der Pflanze reicht für zwei Wege«, erklärte der alte Mann und wies zu der Pflanze, die jetzt in der Kiste auf dem Boden stand. »Das Gerät ist so eingestellt, dass es Sie zu den anderen Familien bringt. Wenn das blaue Licht erlischt, steigen Sie aus, aber lassen Sie die Pflanze in der Kabine. Zehn Minuten nach Ihrer Ankunft wird die Kabine hierher zurückkehren, und ich kann mit der letzten Pflanze eine neue Ladung aus meiner Zeit holen. Drücken Sie diesen Schalter, um die Tür zu öffnen und zu schließen.« Er zeigte Frederic einen Schalter, der neben der Luke unter einem Bildschirm angebracht war. »Ich wünsche Ihnen und ihrer Familie alles Gute.«

Der alte Mann zog sich zurück und hob die Hand zu einem letzten Gruß. Frederic nickte ihm zu, drückte auf den Schalter, und die Luke schloss sich. In der Dunkelheit erschien auf dem Bildschirm über dem Schalter ein grüner Schriftzug:

ZIEL GEWÄHLT.

Dann fing die Blüte langsam an zu leuchten, und ein blaues Licht breitete sich in der Kabine aus, als die Reise durch die Zeit begann.

(März 2003)